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Julia Maria Kessler

Mit allen Mitteln.


So oder so ähnlich lief es bei uns, läuft es vielleicht auch bei Dir und in unendlich vielen anderen, von Alkoholismus überschatteten Familien ab. (selbstverständlich kann „er“ auch eine „sie“ sein)




„Nach dem letzten großen Absturz hat er geweint und gesagt, daß er einsieht, daß er ein Alkoholproblem hat. Er hat mich angefleht ihm noch eine allerletzte Chance zu geben… er tut mir wirklich leid.“


„Ok. Und was hat er jetzt vor zu unternehmen um es zu schaffen seine nachhaltige Nüchternheit zu erlangen?“


„Naja, ich weiß nicht so genau. Er meinte, in der Klinik wird er noch kränker und dort würde er es nicht aushalten… mit Ärzten hat er grundsätzlich ein Problem, in der Therapie seien nur ganz schreckliche Leute, die alle viel härtere Fälle sind als er und die Therapeuten seien auch nicht gut… das kann ich schon verstehen…“

„Und was heißt das genau?“


„Mal sehen. Er sagte, es ist ihm ernst und er wird es dieses Mal schaffen, aber nicht ohne mich. Er sagt er braucht und liebt mich und möchte mit mir in den Urlaub fahren und dort aufhören zu trinken. Er sagt Abstand täte ihm erst einmal gut.“

„Ist das alles?“


„Nein, er möchte im Anschluß eventuell jemanden kontaktieren, der ihm empfohlen wurde…“

Eventuell im Anschluß?


Heißt übersetzt so viel wie: er tut aktiv überhaupt nichts, außer Ausreden zu suchen, nichts Konkretes zu unternehmen, anderen Menschen die Schuld zuzuschieben und Dich zusätzlich in die Verantwortung zu nehmen. Aber es geht darum, daß Dein alkoholkranker Partner selber beginnt, mit allen notwendigen Konsequenzen die Verantwortung für seine Alkoholsucht zu übernehmen. Zeit zu schinden, ist weit von selbstwirksamen Handeln und echter Einsicht entfernt.


Wie sieht es denn bei Dir aus? Wenn DU etwas wirklich, wirklich möchtest, wenn etwas oder jemand für dich existentiell und kernerschütternd wichtig ist, was bist Du dann bereit zu tun?


Wahrscheinlich alles.


Du wirst nicht nach Ausreden, oder nach einem Sündenbock, sondern nach Lösungen suchen. Du wirst alle Hebel in Bewegung setzten, Deinen Notgroschen antasten, Kontakte knüpfen, einlenken, Berge versetzen, recherchieren, über Deinen Schatten springen und über Dich und Deine Ängste hinauswachsen, wenn es sein muß. Du wirst kämpfen…


Mit allen Mitteln.


Das ist bei Deinem alkoholkranken Partner nicht anders. Die Frage ist nur, was es ist, für das er kämpfen möchte: seine Nüchternheit oder seine Beziehung zum Alkohol? Du versuchst alles, damit er endlich nüchtern wird.


Tut er das auch, oder verspricht er es nur?


Ich kenne alkoholkranke Menschen, die es geschafft haben, nachhaltig vor dem Alkohol zu kapitulieren. Sie haben sich auf die Suche nach ihrem Weg in ein nüchternes Leben gemacht und nicht einfach weitergemacht wie bisher, weil der Therapeut angeblich nicht gut, oder die Selbsthilfegruppe enttäuschend war.

Diese Menschen haben sich durchgebissen und sich ihren Ängsten gestellt und sich getraut die Wahrheit auszusprechen, anstatt anderen die Schuld in die Schuhe zu schieben. Sie haben ihr Leben umgekrempelt, mit dem Rauchen aufgehört und mit dem Joggen angefangen, ihrer Stammkneipe den Rücken gekehrt und wenn nötig ein paar Menschen Lebewohl gesagt, eine ehrenamtlichen Arbeit begonnen, ihre persönlichen Erfahrungen mit anderen geteilt, zur Selbstfindung die Alpen überquert, ihren Halt in Sport oder Meditation gefunden, mehrere tausend Meetings der AA besucht, alles dafür getan, IHREN Therapeuten zu finden, einen Notfallplan für den Suchtdruck erarbeitet, oder schlichtweg einen komplett neuen Lebenswandel etabliert, um ihre Nüchternheit zu festigen und zu be - schützen.


Mit allen Mitteln.


Diese Menschen haben erkannt, dass sich nichts Grundlegendes ändern kann, wenn man nicht bereit ist, selber etwas Grundlegendes zu verändern und…

… sie WOLLTEN den Richtungswechsel in ein nüchternes Leben einschlagen: nicht als Alibi, bis sich die Wogen wieder geglättet haben, oder weil Partner/in, Chef/in, oder die Familie Druck gemacht hat, sondern weil es ihr persönliches Ziel war, für das sie bereit waren die Ärmel hochzukrempeln.


Ist Dein Partner noch nicht so weit, daß er den Sprung in ein nüchternes Leben schaffen möchte, wird er alles dafür tun, Dich bei der Stange zu halten während er möglichst manipulativ und unauffällig seine Beziehung zur Flasche verteidigt.


Mit allen Mitteln.


Insgeheim führt Dein alkoholkranker Partner nämlich eine Dreiecksbeziehung mit Dir und mit dem Alkohol. Und was würdest du sagen, wer in diesem Konstrukt im Zweifel die letzte Priorität hat? Der Alkohol oder Du? Und wer trifft die Entscheidung, für welche dieser beiden Beziehungen er sich kämpfen möchte? Es ist Dein Partner.


Es geht nicht darum die Schuldfrage zu stellen. Dein Partner ist alkoholkrank. Aber er hat auch die Möglichkeit sich Hilfe und Unterstützung zu suchen. Es gibt für alkoholkranke Menschen

- zum Glück - eine Vielzahl an Angeboten, ganz im Gegensatz zu den unendlich vielen Angehörigen, die ebenfalls von den Auswirkungen der Sucht betroffen sind, aber häufig mit ihren Sorgen und Ängsten alleine bleiben. Während manch ein Alkoholkranker jede professionelle Hilfe stoisch verweigert, bei einem anderen nach dem Rückfall, längst zum Synonym für vor dem Rückfall geworden ist, wird in Folge dessen nicht selten ein ganzes Familienleben um die Trinkexzesse eines Menschen organisiert.




„Es dauert immer so ungefähr zehn Tage, in denen es richtig schlimm ist. Ich rationiere den Alkohol und bringe ihn meiner Frau ans Bett, weil sie das Schlafzimmer in den Phasen ihrer Abstürze nicht mehr verlassen kann.“ Und die Kinder? „Die kennen das schon.“


„Ich wollte für unsere Töchter einen professionellen Beistand organisieren, jemand mit dem sie altersgerecht und ohne in einen Gewissenskonflikt zu geraten über die Situation zu Hause sprechen können, aber mein alkoholkranker Partner ist strikt dagegen. Er sagt das sei unnötiger Quatsch und ein Angriff gegen ihn.“


„Eine Auszeit täte mir und den Kindern schon gut, aber mein Mann weigert sich vorübergehend zu seinen Eltern/in die Ferienwohnung/ein Apartment zu ziehen. Er sieht überhaupt nicht ein, auf sein gewohntes Umfeld zu verzichten.“ Und die Kinder? Sie zählen heimlich die Flaschen und versuchen ihren Papa bei Laune zu halten, damit er weniger/nicht trinkt.


„In den Hochphasen ihres Trinkens plane ich ein, spätestens um 16.00 Uhr zu Hause zu sein, bevor meine Frau total betrunken ist und die Kinder mit ihr alleine sind. Trotz allem, ist sie nach wie vor strikt dagegen, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.“


„Ich darf meinen Schwiegereltern nicht erzählen, was bei uns zu Hause los ist. Mein/e Partner/in sagt, ich dürfe in der Familie nicht schlecht über ihn/sie reden. Also versuche ich so gut es geht den Schein zu wahren. Keiner weiß, wie schlimm es mittlerweile wirklich ist.“




Was haben all diese Konstrukte gemeinsam? Es dreht sich alles ausnahmslos um den Alkoholkranken, der weder die Verantwortung, noch die Konsequenzen seiner Krankheit tragen möchte. Angehörigen wird das aber selbstverständlich zugemutet und sie nehmen das nicht selten sehr lange so hin und vergessen darüber, sich selber einmal "leid zu tun", da der Fokus häufig wie selbstverständlich auf dem Alkoholkranken liegt. Bei mir war das auch so.


Doch wenn ein Mensch nicht bereit ist, die Verantwortung für seine Krankheit zu übernehmen, aber alle anderen Menschen in den sauren Apfel beißen läßt, läuft etwas ganz gewaltig schief, denn alle erschaffen gemeinsam (freiwillig oder unfreiwillig) ein Biotop, in dem der Alkoholkranke, auf Kosten seiner Angehörigen möglichst bequem weiter - trinken kann und es sehr wahrscheinlich auch tun wird.


„Die Therapeuten sind Idioten, die anderen Alkoholkranken in der Klinik sind unter meinem Niveau, eine Auszeit im Gästezimmer der Eltern ist unzumutbar, Gespräche über andere Optionen generell unerwünscht und die Tatsache, daß der Führerschein entzogen wurde, eine himmelschreiende Ungerechtigkeit.“


„Das ist alles deine Schuld, weil Du die Polizei gerufen hast!“ Und was ist sowohl mit der eigenen, als auch der Sicherheit anderer Menschen, die durch einen Betrunkenen am Steuer gefährdet ist? Verdient dieser Aspekt vielleicht auch ein wenig Beachtung, oder geht es wieder darum, seinem Partner Schuldgefühle zu machen?


„Außerdem werde ich nicht vorübergehend ausziehen/eine Langzeittherapie machen, weil ich ein Recht darauf habe, jeden Tag mit meinen Kindern zusammen zu sein!“


Absolut. Doch auch hier gilt es Verantwortung zu übernehmen, in dem man sich ernsthaft mit seiner Krankheit auseinandersetzt, um nüchtern und berechenbar für seine Kinder da sein zu können.


Worum geht es hier eigentlich?


Geht es wirklich um die Kinder? Geht es darum, was das Beste für sie ist, oder geht es darum, was der (vermeintlich) bequemste Weg für den alkoholkranken Elternteil ist? Geht es darum die Beziehung zu den Kindern AKTIV schützen zu wollen, oder darum, die Beziehung zum Alkohol zu schützen und in Kauf zu nehmen, daß die Kinder die Konsequenzen mit - tragen müssen?


„Ich kann jetzt keine Therapie machen…der Urlaub ist längst geplant und die Kinder freuen sich schließlich schon so sehr darauf… ich möchte sie keineswegs enttäuschen.“

Geht es bei der Ablehnung aller Richtungswechsel wirklich um das Wohl Familie, oder darum, die Beziehung zum Alkohol weiterzuführen?


Ganz genau so, wie Du Dir wünscht, daß Dein Partner Verantwortung für seine Abhängigkeit übernimmt, kannst auch Du jederzeit damit beginnen, die Verantwortung für Deine Co - Abhängigkeit zu übernehmen.

„Ja aber, das ist alles nicht so einfach.“ Das stimmt. Es ist sogar alles andere als einfach, die Muster eines Suchtsystems zu durchbrechen, aber es ist alternativlos, da man Alkoholismus nicht aussitzen kann. Du kannst Deine Beziehung über Dich ergehen lassen, Deine Bedürfnisse übergehen, die "Schuld" selbstverständlich zu Dir nehmen und Kompromisse machen, die faul sind, aber Du kannst trotz dieser Haltung keinen Status erreichen, der berechenbar bleibt. Solange ein alkoholkranker Mensch trinkt, wird seine Sucht ihre Schatten immer mehr über all Deine/Eure Lebensbereiche werfen…


… bis Du erkennst, daß der vermeintlich leichterer Weg meist nur am Anfang geteert ist und nicht mit fertigen Lösungen, sondern mit einer Entscheidung und einem ersten Schritt von DIR beginnt.


Ein erster Schritt könnte sein zu erkennen, daß es nicht nur einen Menschen in einem Suchtsystem gibt, der Dein Mitgefühl verdient hat und dass Mitgefühl und selbstwirksames Handeln kein Widerspruch sein müssen. Ganz im Gegenteil.


Die nächste Ent - Täuschung könnte das Ende der Täuschung und somit der Startschuß für einen Richtungswechsel sein.




Byebye Co - Abhängigkeit!

Alles Liebe,

Julia










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